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„Werwolf-Syndrom“ bei Hunden: Die Suche nach den Ursachen

25.06.2025

Panikattacken, unkontrollierte Bewegungen, Jaulen, epileptische Anfälle: LMU-Tierneurologin Andrea Fischer erklärt, woran die betroffenen Tiere leiden und was die Münchner Veterinärmedizin tut, um die Auslöser zu bestimmen.

Kläffender Hund

© IMAGO / Shotshop

Was genau ist unter dem sogenannten „Werwolf-Syndrom“ bei Hunden zu verstehen?

Andrea Fischer: Wir beschreiben es als akute, episodische Verhaltensstörung mit Angstzuständen und schweren neurologischen Symptomen. Die davon betroffenen Hunde zeigen beispielsweise Panikattacken, unkontrollierte Bewegungen und Jaulen. Auch epileptische Anfälle sind möglich. Gerade das macht uns große Sorgen, weil Epilepsie seit vielen Jahren die häufigste neurologische Erkrankung bei Hunden ist. Wir bieten in der Klinik eine Epilepsiesprechstunde an, in der wir Hunde mit verdächtigen neurologischen Symptomen untersuchen und behandeln. Vor allem in dieser Sprechstunde werden uns auch Hunde vorgestellt, die Symptome des „Werwolf-Syndroms“ zeigen.

Nachdem in vielen spezialisierten Tierarztpraxen ähnliche Fälle aufgetreten waren, haben sich die europäischen Spezialisten für Veterinärneurologie (www.ebvs.eu, www.ecvn.org) in den letzten Monaten intensiv miteinander ausgetauscht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Diese Vernetzung hat dafür gesorgt, dass wir das Syndrom als solches identifizieren konnten und auf die Häufung der Fälle sowie deren Parallelen aufmerksam wurden.

In Verdacht, die Symptome auszulösen, stehen Kauknochen. Was spricht dafür?

Im Moment besteht ein rein epidemiologischer Zusammenhang. Seit vergangenem Sommer wurden gehäuft Fälle dieses neuen Syndroms beobachtet, und bei der Suche nach Parallelen kristallisierte sich die Fütterung mit Kauknochen als gemeinsames Merkmal heraus.

In vielen Fällen wurde eine umfangreiche Diagnostik durchgeführt, darunter Blutuntersuchungen und eine neurologische Diagnostik. Letztendlich lassen sich so viele andere Ursachen für Verhaltensstörungen wie Stoffwechselstörungen, Schmerzen, Infektionen, Tumore, Blutungen und Entzündungen ausschließen.

Es spricht nach aktuellem Wissensstand einiges dafür, dass Substanzen, die im Zuge der Verarbeitung oder durch Verunreinigungen in Kauknochen aus Rinderhaut gelangt sind, für die beobachtete Symptomatik verantwortlich sein könnten.

Umfangreiche epidemiologische Studie

Laboruntersuchung

Laboruntersuchung | © Arne Trautmann

Konnte bereits eine konkrete Substanz identifiziert werden?

Nein, bisher ließ sich kein toxikologischer Nachweis erbringen, weder bei der Untersuchung der verfütterten Kauknochen noch in Proben der Körperflüssigkeiten betroffener Hunde. Möglicherweise handelt es sich allerdings um flüchtige Substanzen wie Lösungsmittel oder um Substanzen, die zu klein sind oder deren Konzentrationen unterhalb der Nachweisgrenzen der Analysegeräte liegen. Eventuell wirken sie auch indirekt, indem sie Stoffwechseländerungen im Körper des Hundes auslösen, oder werden vom Körper des Tieres relativ schnell wieder abgebaut.

Ob es tatsächlich einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Substanzen in Kauknochen und den beobachteten Symptomen gibt, muss jedenfalls unbedingt valide wissenschaftlich geklärt werden. Erste Belege wären entweder positive toxikologische Nachweise oder klare Nachweise aus epidemiologischen Studien.

Eine solche breit angelegte epidemiologische Studie haben Forschende der Kleintierklinik der LMU gemeinsam mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) gestartet…

Genau, wir führen eine umfangreiche epidemiologische Studie zur Charakterisierung des Ernährungsverhaltens von Hunden durch. Die Zielgruppe ist dabei die allgemeine Hundepopulation. Im Online-Fragebogen für die epidemiologische Studie, den wir zusammen mit der TiHo entwickelt und verfeinert haben, befragen wir Hundehalterinnen und Hundehalter zur Ernährung ihrer Hunde und zu akuten episodischen Verhaltensauffälligkeiten und Anfällen bei ihren Tieren. Zur Teilnahme sind alle Personen aufgerufen, die einen Hund besitzen, auch wenn dieser nicht betroffen ist. Denn bei epidemiologischen Studien ist es immer wichtig, auch eine große Population zu untersuchen, um sichere Aussagen durch den Vergleich mit Kontrollgruppen machen zu können und möglichst viele Risikofaktoren in die Analyse einzubeziehen. Dies wird erst durch eine große Datenbasis ermöglicht. Denn: Bezieht man mehr Risikofaktoren in die Analyse ein, wird die Aussage eindeutiger.

Ergänzende toxikologische Untersuchungen werden in mehreren toxikologischen Instituten, unter anderem dem Lehrstuhl für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie an der Tierärztlichen Fakultät der LMU, und den Überwachungsbehörden an den Landesuntersuchungsämtern durchgeführt.

Welche Daten sammeln Sie im Rahmen der Studie?

Abgefragt werden zahlreiche Risikofaktoren und Aspekte: die allgemeinen individuellen Gesundheitsdaten und Charakteristika der Hunde wie Rasse, Alter und Geschlecht, dann aber auch die Haltung, aktuelle und frühere Erkrankungen, Medikamente, Impfungen und die individuellen Behandlungen im Rahmen der Gesundheitsvorsorge. Hinzu kommt eine detaillierte Analyse der Ernährung. Gerade wenn die Möglichkeit einer Exposition zu Schadstoffen über die Umwelt oder die Nahrung in Betracht gezogen wird, müssen viele verschiedene Faktoren untersucht werden.

Wir möchten dann durch den Vergleich von betroffenen und nicht betroffenen Hunden in der allgemeinen Hundepopulation belastbare Hinweise auf mögliche Auslöser oder Risikofaktoren für das „Werwolf-Syndrom“ und möglicherweise auch andere neurologische Erkrankungen wie Epilepsie erhalten. Zusätzlich beziehen wir Daten von Patienten (erkrankten Hunden) ein, die bei spezialisierten Tierneurologen (EBVS® European Specialists in Veterinary Neurology; www.ebvs.eu) eine ausführliche neurologische Diagnostik erhalten haben. Wir haben also Daten von einer großen Population, in der man eine Exposition und einen möglichen Zusammenhang mit Kauknochen und anderen Risikofaktoren erheben kann, und dann haben wir noch die Gruppe der Fälle, die tatsächlich ausführlich neurologisch untersucht wurden, mit deren detaillierten Expositions- und Untersuchungsdaten.

Viele mögliche Ursachen für Anfälle

Die Ursachenforschung in Sachen „Werwolf-Syndrom“ beginnt also erst …

Ja, ich glaube wir werden da noch sehr viel dazulernen. Das Forschungsprojekt gibt uns sicher einen spannenden Einblick in die Zusammenhänge, die zwischen der Ernährung und Verhaltensänderungen, Psychosen oder anderen neurologischen Symptomen wie Epilepsie und Dyskinesie bei Hunden bestehen können. Wir müssen sicherlich den Fokus in der Forschung noch mehr auf die Ernährung legen.

Hunde in der Kleintierklinik

Hunde in der Kleintierklinik | © Arne Trautmann

Welche Parallelen bestehen zu Ihrem Forschungsschwerpunkt, der Epilepsie bei Hunden?

Im Moment würden wir das „Werwolf-Syndrom“ nicht als Epilepsie einstufen, sondern wirklich nur als akute Verhaltensstörung oder Psychose, bei der im Einzelfall auch mal epileptische Anfälle auftreten können. Diese Hunde werden nach unserem aktuellen Wissensstand auch wieder gesund und haben nicht lebenslang Symptome, wie es bei Hunden, die an einer Epilepsie erkrankt sind, meist der Fall ist.

Ein wiederholtes Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten, epileptischen Anfällen oder Dyskinesie kann allerdings viele Ursachen haben. Es kann das Gehirn selbst erkrankt sein, durch einen Tumor, eine Entzündung, eine vaskuläre Erkrankung oder ein früheres Trauma. Es gibt aber auch die idiopathische Epilepsie des Hundes, die oft einen genetischen Hintergrund hat. Zudem gibt es metabolische Störungen, Vergiftungen und auch andere Erkrankungen, die mit Anfällen verwechselt werden können.

In diesen Fällen sind die Gehirnscans unauffällig und man sieht weder strukturelle Läsionen noch Entzündungsherde. Genauso wie bei den vorübergehenden neurologischen Symptomen, wie es aktuell beim „Werwolf-Syndrom“ der Fall ist.

Die Diagnose einer chronischen Epilepsie ist komplex, jeder Fall wird zur Detektivarbeit. Und ähnlich wie beim Menschen wird die Epilepsie beim Hund zunehmend auch als eine komplexe Erkrankung betrachtet, bei der genetische Risiken und äußere Faktoren zusammenwirken. Es gibt auch Hinweise, dass Entzündungen und die Ernährung die Ausprägung einer Epilepsie und Dyskinesie modulieren können. Das Werwolf-Syndrom wird uns hier möglicherweise weitere Einblicke geben.

Kann von der Forschung an Epilepsie und anderen neurologischen Störungen bei Hunden auch die Humanmedizin lernen?

Es gibt viele Parallelen zum Menschen, denn prinzipiell haben Hunde einen sehr ähnlichen Organismus und biologischen und genetischen Hintergrund. Ich denke, dass hier ein sehr großer Forschungsfundus vorliegt, der bisher unzureichend genutzt wurde. Und den wollen wir mit unserer tierneurologischen Forschung weiter öffnen. Hunde erkranken schließlich nicht nur häufig an den gleichen Tumoren, Stoffwechselstörungen und genetischen Erkrankungen wie Menschen, sondern auch an neurologischen Erkrankungen wie Epilepsie, Dyskinesie, neurodegenerativen Erkrankungen und autoimmunen Erkrankungen mit Parallelen zu ALS und Multipler Sklerose. Zudem haben viele unserer Tierhalterinnen und Tierhalter ein großes Interesse, mit ihren Tieren zur Verbesserung der Diagnose und Therapie beizutragen. Ich frage mich, wieso die Humanmedizin das Augenmerk nicht stärker auf diese spontanen Tiermodelle legt statt auf Tierexperimente. Das ist meiner Ansicht nach ein ungenutztes Potenzial, insbesondere für Genentdeckungen und innovative Therapieansätze. Unser Team zum Beispiel arbeitet zu einer genetischen Epilepsie beim Hund mit Parallelen zum Kind mit Pädiatern zusammen. Auch bei der Therapie der felinen infektiösen Peritonitis (FIP), einer bisher tödlichen Coronavirusinfektion bei Katzen, gibt es an der Kleintierklinik der LMU München zukunftsweisende Kooperationsprojekte mit dem Haunerschen Kinderspital der LMU.

Prof. Dr. med. vet. Andrea Fischer leitet die Abteilung Neurologie & Neurochirurgie an der Kleintierklinik der LMU München. Sie ist National Representative des European Board of Veterinary Specialisation.

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